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PROTOKOLL Seite 2 
 
HEINRICH-NORDHOFF-GESAMTSCHULE WOLFSBURG 
KURSPROTOKOLL
MATHE+KUNST 13. Jahrgang GK 2001-02-1 
7. - 9. Stunde, Raum C 710
Birger Sechtig & Rainer Randig 
04.09.2001
 
Künstlerische Arbeit zum Zenon-Paradox, Aufgabe und Entwürfe zur Umsetzung
Der Ansatz für eine praktische Kunstarbeit nach dem einprägsamen Bild von Magritte möchte bildlich Naheliegendes und Wiederholungen vermeiden. Insofern versucht die folgende Worttransformation sowohl den Hintergrund zu erinnern als auch neue ideelle Perspektiven zu eröffnen: "Bewegung ohne Bewegung im Raum ohne Zeit" lautet meine allgemeine Umschreibung des Paradox von Zenon. - Die praktische Arbeit solle "Das Absurde des Paradox von Zenon dramatisierend gestalten". Damit die großen Worte etwas konkretere Substanz bekämen, führte ich an der Tafel mögliche Themen an, die als Anregungen zu verstehen sind:
"Es regnet Bindfäden" "Luftsprünge" "Blitzschnell im Pendelwald" (Huldigung für Alice) "Ewig stürzt Ikarus" (oder "Was Brueghel nicht zeigte") "Im Vakuum ohne Schwerkraft" Allerdings sind eigene Einfälle der Schüler zu favorisieren.
Es ist zu überlegen, ob diese Vorgaben notwendig sind, um zu eigenen Bildäußerungen zu kommen. Entsprechende Gespräche mit den Schülern hinterließen den Eindruck, dass die Produktion eigener Ideen anscheinend nicht eingeschränkt wurde.
Assoziationslisten, die jene gelieferten Ansätze noch weiter aufspalten können, und ironische oder gewollt widersprüchliche Bildvorstellungen sind angeraten worden.
Hier schloss sich die Diskussion verschiedener Ideen und die Entwicklung der Konzepte an.

Für die Verwirklichung wurden zwei mal drei Stunden vorgegeben. Die Form der Ausführung soll selbst bestimmt werden.

 
 11.09.2001
Da sich während der Diskussion der praktischen Arbeit Bezüge zum "24 Hour Psycho" von Douglas Gordon aufdrängten, entschlossen sich beide Lehrer kurz für folgenden Einschub:
13:20 Uhr bis 15:10 Uhr Videovorführung "PSYCHO von Alfred Hitchcock, 1960" - Umzug ins Kunstmuseum Wolfsburg bis 15:30 Uhr - bis 16:15 Uhr war Arbeit im Kunstmuseum mit Douglas Gordons "PSYCHO" geplant, dauerte jedoch bis 16:45 Uhr.

Gedächtnisprotokoll:
Die Bedeutung des Hitchcock-Films wurde vor seiner Präsentation im Schulraum nicht erklärt, wir forderten die Schüler lediglich auf, den Film aufmerksam anzusehen, auch auf die bemerkenswerte Kameraführung oder den Schnitt zu achten. Das sei für den folgenden Besuch der Ausstellung "THE DARK - UPDATE#4" im Kunstmuseum Wolfsburg eine wichtige Voraussetzung.

Später im Museum hielten wir uns ausschließlich in der abgedunkelten Installation Gordons auf. Als wir in einer Ecke vor der diagonal im Raum schwebenden Projektionsfolie Platz nahmen, wickelte Norman Bates gerade sein Opfer in den Duschvorgang (etwa zwischen den ersten beiden Filmstills rechts). Douglas Gordon hat die handelsübliche Videofassung stufenlos auf 24 Stunden gestreckt und auf eine halbtransparente "Leinwand" (3 x 4 m) projiziert.

Nach 5 - 10 Minuten vor den gleichmäßig ruckenden Bildern fragte ich nach dem Unterschied zum Normalfilm, nach Empfindungen, die hier vielleicht anders sein könnten. Dieser Einstieg erwies sich insgesamt als träge und ergebnisarm. Die Frage, wie Gordon den Film verändert hätte, ließ sich etwas besser greifen, die Rolle der Einzelbilder wurde aber noch nicht differenziert aufgeschlossen. Die geänderten Spannungswerte blieben ohne Beschreibung, wobei mir jetzt, wo ich dies schreibe, immer noch nicht klar ist, wie der Film von den Schülern aufgenommen worden ist, sie sind sicher andere Spannungen gewöhnt! Verschiebungen der eigenen Aufmerksamkeit vom Handlungszusammenhang (Normalfilm) zu den Details (transformierter Film) fiel der Gruppe auf: benannte Dinge im Film, die in ihrer Symbolik stärker wurden: Vogelbilder (Würger?), ausgestopfte Raubvögel in Normans Raum, besonders eine nachtaktive Eule beispielsweise.
Die Verbindung der Installation der verlangsamten Folge der filmischen Einzelbilder mit Zenons Paradox (Vgl. 1. Treffen) lag auf der Hand, wurde von den Schülern dennoch nicht selbständig ins Spiel gebracht. Erst als Birger Sechtig den Bezug zur Momentangeschwindigkeit herstellte, erleichterte er den Zugang zur psychologischen Dimension der Zeit und der
Knoten platzte bei der Frage: Wer hat Recht? Zenon, die Mathematik (mit der Momentangeschwindig-keit (Vgl. 2. Treffen) oder Hitchcock oder Gordon? Hier zeichnete sich die Erkenntnisrichtung erfreulich klar ab. Mehrere Stimmen aus dem dunklen Raum versuchten diese provokative Frage abzuwehren. Keiner hätte recht, oder jeder für sich hätte Recht, so dürfte nicht gefragt werden. Die gemeinsame Substanz schien deutlich erfasst zu sein: das Gespräch bezog sich auf die verschiedenen Konstruktionsbedingungen der Modelle für Bewegungsabläufe und berührte damit den Wahrheitsbegriff, der nicht nur eine subjektive, sondern eine intersubjektive Qualität darstellt (sonst hätten wir vor den vorrückenden PSYCHO-Bildern uns nicht so vortrefflich austauschen können).
Die lehrergesteuerte Zusammenfassung kreiste das Phänomen der verschiedenen Wahrnehmungsversuche (Konstruktionen) noch einmal enger ein: Vor Hitchcocks Film war bereits Literatur oder zumindest das Drehbuch; das Produktionsteam bei der Arbeit; die Klappen, Wiederholungen und Veränderungen einzelner Szenenabläufe; Schauspieler - Norman Bates ist gefilmter Anthony Perkins; Standfotos ersetzten das heute übliche "Making of"; Kinofilm, Video und extreme Slow Motion; War Magritte nicht radikaler als Gordon, als er den Vorgang zum Stand auf einen Punkt gebracht hat? Zenons Filmerfindung vom Pfeil, der ja nicht fliegt, und Psycho steht auch Einzelbild für Einzelbild!? Nicht zu vergessen Newtons "Fluxionen", seine Idee von der Minimierung der Zeitspannen, die zu dem mathematischen Modell "Momentangeschwindigkeit" führte,das uns den Bewegungsvorgang wie ein Film vorführt. In meinem Kopf, in deinem, in jenem ... Unsere Hirne bauen die Filme zusammen, konstruieren und nehmen für wahr. Birger: Der Film läuft zwischen den Bildern ab!

Noch reduzierter als Douglas Gordon treibt Peter Friedel sein künstlerisches Spiel mit dieser eigentümlichen Kraft unseres neuronalen Systems, siehe unten.

Unsere Arbeit im Museum öffnete den Einblick auf den komplexen Zusammenhang von Zeit, Wahrnehmung, Konstruktion von Vorstellungen, Modellen und Bildern. Sie relativierte obendrein die Qualität Wahrheit bzw. Verhältnis zur Realität. Das Thema, der Ort und die Atmosphäre haben diese Werte näher, womöglich etwas begreifbarer gemacht.

Die Plätze in diesem Kino sind nicht gezählt: Der österreicher Peter Friedel lässt in Kassel auf der documenta X mit seinem Leuchtreklamen-Kunststück KINO Strassenverkehr, Besucherströme und das Schauerlebnis in und vor der documenta-Halle und selbst noch in der Erinnerung als Film laufen. (Foto: art 8/97, Seite 26)

18.09.2001
Nachbereitung des Museumsbesuchs - Stundenprotokoll: Jana Mertens
"Die Stunde nach dem Psycho Ausflug"

Wir hatten in der vorherigen Stunde den Psycho-Film im Original und dann die auf 24 Std. gestreckte Fassung des Künstlers Douglas Gordon gesehen.
Wir stellten uns nun die Frage, wie wir diesen Unterschied erlebt hatten. Ausschlaggebend dafür war die Tatsache, dass wir im Kunstmuseum die Zeit vergessen hatten, die uns in der Schule klare Grenzen setzt.
In dem Museum herrschte ein deutlicher Unterschied zu der sonst gewohnten und anödenden Schulatmosphäre. Wir saßen alle auf dem Boden, um uns herum die völlige Dunkelheit, nur vor uns die riesige Leinwand, der wir unsere ganze Aufmerksamkeit und Konzentration schenkten. Der Film war ohne Ton und es gab auch keine Nebengeräusche, außer ein ab und an nervendes, aber ignoriertes Handygeräusch.
Ohne über diese gestreckte 24 Std.- Fassung im Vorfeld geredet oder vielmehr gewußt zu haben, ließen wir die Eindrücke einfach auf uns wirken. Natürlich erlebten wir diese Fassung im Sinne des Experiments ganz anders als das Original. Die Spannung wurde nicht durch die Handlung erzeugt. Diese konnte man man gar nicht überschauen, so dass auch die Story mit all ihren parallelen Geschichten nicht deutlich wurde. Es waren die Einzelheiten, die unsere Sinne erregten und Spannung erzeugten. Wir sahen die einzelnen, abgehackten Bilder und jeder wartete gespannt auf die nächste Einstellung. So stand nun beispielsweise nicht das sorgfältige Beseitigen der Blutspuren im Vordergrund, sondern die Falten in Norman Bates Anzug, die die wunderlichsten Verwandlungen durchlebten. Und dies passierte alles in einem Zeitraum, in dem unsere Sinne diese sonst beiläufig und natürlicherweise auftreteneden Faltenentwicklungen, aufmerksam und bewusst wahrnehmen und bewundern konnten.
Von dem nun erlebten "verzögerten Zeitraum" können wir einen Bezug zu dem Paradoxon des Zenons herstellen. Der Bewegungsablauf besteht ja laut Zenon aus einzelnen wahrnehmbaren Standbildern und das konnten wir in der gestreckten Fassund des Psycho-Films deutlich sehen. Dennoch haben wir die Bewegung ja trotzdem wahrgenommen. Nach der Berechnung der Momentangeschwindigkeit wissen wir, dass in einem Moment Geschwindigkeit besteht. Da der Film aus lauter einzelnen Standbildern besteht, haben wir die Bewegung also in unserem Kopf konstruiert.

Nach dieser Rückbesinnung begann die praktische Arbeit der Aufgabe vom 04.09.01 (4. Teffen).

25.09.2001

Praktische Arbeit, die nach den Herbstferien vorzulegen ist
Äußerungen zum Umgang mit der Bildgestaltung sind unter "
8. Treffen" eingefügt.
(R. nimmt an einer RLF teil)